Die Berufungsverhandlung findet in einer Außenstelle des Landgerichts Gießen statt, es ist eine Leichtbauhalle welche Coronabedingt aufgestellt wurde, damit es für die LG Verfahren mehr Platz gibt. In dieser Halle können zwar bis zu 25 Zuschauer teilnehmen jedoch sind diese mit einer Glaswand vom Verhandlungssaal abgetrennt, somit kann sich nicht mit Ella in den Pausen unterhalten werden, es besteht aber Sichtkontakt. Vor dem Eintritt mussten alle Zuschauer durch eine doppelte Eingangskontrolle durchgehen, Personalien wurden jedoch nicht aufgenommen.
Etliche Pressevertreter nahmen an der Verhandlung teil, im Verhandlungssaal.
Um 9:20 wurde Ella in den Verhandlungssaal geführt, in Handschellen, mit einem Aktenordner vorm Gesicht. Etliche Pressevertreter standen in einer Traube um Ella herum und fotografierten. Die Rufe und Trommeln von der Demo draußen sind im Zuschauerberreich gut zu hören.
Da heute nur Prozessauftakt war gabe es keine Beweisaufnahme, es wurde das Urteil des Amtsgericht Alsfeld verlesen, dannach hat Ella eine Einlassung welche im Reim geschrieben war auf Englisch vorgetragen, im Publikum wurde heftig applaudiert (zu finden unter…) Dannach hat die Verteidigung, W. Verleih und E. Dannfeld die Berufung begründet und zwei Anträge gestellt in welchem es um die Anonymisierung der SEK Beamten ging und darum das in der Akte wesentliche Unterlagen fehlen und einige Vorgänge nicht klar der Akte zu entnehmen sind. Eigentlich sollten noch Videos geschaut werden, das wurde jedoch auf Mittwoch den 19.01. verschoben, die SEK Zeugen welche für Mittwoch den 19.01 geladen waren wurden für einen späteren Termin umgeladen, da erst über den Antrag der sich gegen ihre Anonymisierung richtet zu entscheiden ist.
Richter Nink stellte direkt zu Anfang klar, dass er Ella auch „Ella“ nennen wird, welches ihr Wunschname sei. Nach der Verlesung des Urteils vom AG Alsfeld, hielt er noch eine aufklärende rede über die Geschichte der A49. Unteranderem erzählte er: „[…] wir haben dagegen demonstriert und Flyer verteilt. Ich war auchmal jung. Dann ist die A49 in Vergessenheit geraten. Dann hat sie einen Sichelschnitt geschlagen und keinen Wald ausgelassen[…] Ich habe jeden Gast in meinem Büro vor die Karte gestellt und gefragt wo der Danni ist […] Und Sie Ella tragen hier den höchsten Preis und der Staat hat auf Sturr geschaltet“. Er erwähnte auch, dass das seine letzte Verhandlung vor seiner Rente sei. Er erwähnte auch den Film „Ella“ gesehen zu haben.
Bezüglich der Haftfrage äußerte er sich zu Beginn, er meinte da bereits das Oberlandesgericht Gießen entschieden hat, dass die weitere Untersuchungshaft zulässig ist, müsse [bzw. würde, Anm. der Autorin] er sich daran halten. Jedoch hätte Ella nach seiner Rechnung die Hälfte der Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 3 Monaten verbüßt, bei 2/3 der Strafe kann zur Bewährung ausgesetzt sein, dass wäre am 26.05, das wäre die Frist für eine Haftprüfung, seiner meinung nach. Die Hälfte der Strafe hätte Ella bereits am 10 Januar abgesessen, würde Ella Personalien angeben, könnte sie sofort in ihr Heimatland abgeschoben werden, sofern sie keine deutsche Staatsbürgerschaft hat.
Dann hält er noch aus einem Brief vor, welchen er beschlagnahmt hat, dort sah er einen Hinweis darauf, dass Ella unter anderem Schwedisch spricht (Er stellt Vermutungen an, dass Ella aus Minesota kommen könnte… ) Doch auf die Ladung der Person mit welcher Ella Briefkontakt hatte, hätte er verzichtet, da er nicht noch Ellas Umfeld mitreinziehen wöllte.
Die Staatsanwältin Fischer (im Folgenden StA) möchte sich nicht dazu äußern, was eine Personalienangabe bedeuten würde, denn die müssten dann ja erst geprüft werden.
Dannach gibt es auf Antrag der Verteidigung eine Unterbrechung von 15 min, da sie klären möchte ob die Schöffenprüfung Anlass zu Anträgen bietet.
10:50 wird Fortgesetzt und Ella verliest Ellas Statement. Vom Dolmetscher wird dananch eine vorliegende deutsche Version vorgelesen.
Dannach begründet die Verteidigung die Berufung (wegen der Menge an vorgetragenem Text, war es schwierig allem zu folgen, deshalb hier nur Stichpunktartig): Die Strafmaßberufung der Staatsanwaltschaft sei abzuwähren, es fehle dem Antrag die dogmatische Grundlage. Das angefochtene Urteil sei aufzuheben, da es eine umfassende Beweiswürdigung vermissen lässt. Die Neubewertung des tatsächlichen Geschehens wird zu neuer strafrechtlicher Einordnung und Strafbemessung führen. Die Mandantin hätte nie inhaftiert werden dürfen. In der neuen Beweisaufnahme werden die Sicherungssysteme der SEKler zu beleuchten sein, insbesondere der Vorwurf dass die SEKler hätten zu Tode kommen können. Soweit tatsächlich eine gefährliche Situation bestanden haben soll, dann auch für die Mandantin, welche diese abwehren durfte.
Die SEKler hätten Körperverletzungsdelikte im Amt begangen (Schläge gegen Körper, Gesicht, Schläge mit Metallring,Schmerzgriffe), die StA blieb jedoch untätig, obwohl es nichtmal einen Strafantrag braucht, da es ein Offizialdelikt sei, auch das besondere öffentliche Interesse sei zu bejahen, es wird sich auf RiStBV §234 I bezogen. Es käme erschwerend hinzu, dass sie ausgebildete SEKler seien, zu dessen Ausbildung unteranderem auch Sozialkompetenz und Klettertraining gehöre, und von ihnen gefordert würde, auch in Ausnahmesituationen ruhig zu bleiben, Ellas Räumung gehört im Vergleich zu ihren sonstigen Einsätzen jedoch eher zu alltäglichem.
Auch der Angriff auf das Versammlungsrecht müsse in Prüfung gestellt werden. Die Entscheidungen auf welche Richter Süß sein Urteil basierte, dass es sich um eine Verhinderungsblockade handele seien Überholt und z.T. nicht einschlägig. Es wird weiter ausgeführt, weshalb die Mandantin Teil einer Versammlung war, welche rechtlich nicht aufgelöst wurde. Für die faktische Auflösung der Versammlung fehle jedoch die Rechtsgrundlage. Z.B. sei §15VersG nicht anwendbar, da die Verantwortlichen sich garnicht mit möglichen Auflagen auseinandergesetzt hätten, ein Verbot wäre nicht alternativlos gewesen.
Auch die Strafzumessungen im Urteil sei rechtsfehlerhaft gewesen, denn es handelte sich um ein hoch affektives Geschehen, die Mandantin wurde vorätzlich erheblich verletzt und durch die Räumung in Gefahr gebracht, die Versammlung an welcher sie teilnahm wurde nicht aufgelöst (es könne sich um einen Irrtum handeln).
Dazu kommt, dass nicht berücksichtigt wurde, dass eine hohe Haftempfindlichkeit vorliegt, dadurch, dass die Mandantin eine Erstverbüßerin sei und lange in Haft isoliert war, an welcher das Amtsgericht mitgwirkt hätte.
Desweiteren wäre die Angeklagte mehrmals nicht angehört worden.
Zum Ende der Berufungsbegründung wird noch etwas aus Sicht der Verteidigung skandalöses hinzugefügt, unzwar wäre Richter Süß einer Besuchserlaubnis der BildZeitung regelrecht hinterhergerannt, wohingegen alle anderen Besuchserlaubnisse Monate dauern. Ella hingegen wurde nie gefragt, ob sie von der BildZeitung besucht werden möchte.
Dannach wurde von der Verteidigung ein Antrag gestellt. Es wurde die Gewährung nachträglichen rechtlichen Gehörs für Ella beantragt (bzgl. der Entscheidungen zum Identitätsschutz der SEKler). Weiter wird beantragt, den Beschluss aufzuheben, dass die Sekler vermummt vernommen werden. Begründet wird es damit, dass der Gesetzgeber Polizeugen nicht bei der Wahrnehmung ihrer Zeugenpflichten privilegieren darf, dass Gesichtsverhüllung vor Gericht ab 2015 untersagt sei, dass die Sekler allein schon privilegiert worden wären, da die Personalien nicht bekannt sind. Soweit der Anwalt der Zeugen (Nebenklagevertreter) begründet, dass bei einer akustisch wahrnehmbaren Vernehmung die Mimik nicht notwendig sei, sondern der Augenschein der Zeugen nur notwendig sei, wenn Zweifel an Aussage bestehen, wird entgegnet dass Zweifel bestehen. Desweiteren wird begründet, dass §68 III, Satz 3 nicht anwendbar sei, da nicht Leib, Leben und Freiheit der Zeugen bedroht sind. Auch wenn er anwendbar sei, müsse die Identität mind. der StA vorliegen, das tut sie jedoch nicht. Es wurde weder im Ermittlungsverfahren noch in der 1. Instanz geprüft, ob es sich bei den SEKlern um die tatsächlichen Zeugen handelt, um Urteil werden dann jedoch die Kennziffern genannt, ohne sich mit der Identitätsfrage auseinander zu setzen.
Nach der Stellungnahme der StA wird ein weiterer Antrag gestellt. Es wird der Grundsatz der Aktenwahrheit und Aktenklarheit gerügt und der Antrag enthalte eine Menge Hausaufgaben an die StA.
Es würden einige Unterlagen fehlen, unteranderem: Wer hat den SEKlern K214 und D111 den Auftrag erteilt die Räumung vorzunehmen; welche Informationen haben diese bekommen; gab es eine Risikoabwägung; welche Anweisungen wurden während des Einsatzes vermittelt, was wurde zur Einsatzstelle übermittelt, welche Einsatzmittel wurden freigegeben (wurde ein Taser frei gegeben?); die Aufzeichnungen des Funkverkehrs fehlen; gab es eine Rückblickende Bewertung des Einsatzes?
Die StA sollte die Akten unter Anderem mit folgenden Dingen vervollständigen: Einsatzbefehl, konkreter Einsatzauftrag betreffend Ellas Räumung, die Funkprotokolle, Bekleidungs- und Materialausgabe der SEKler K214 und D111, Namen des Einsatzleiters, und des Abschnittsleiters für den konkreten Vorfall.
Abschließend erklärt Richter Nink, dass er die Zeugen Traszka, Fink und Nehring eh geladen hätte. Die Zeugin Romero werde er auch laden. Desweiteren beschließt er die SEK Zeugen vom 19.01 umzuladen auf einen späteren Termin, bis zu dem Antrag auf Rücknahme des Identitätsschutz beschlusses entschieden wurde und er vorher der Nebenklage zur Stellungnahme üebrsandt wurde.
Gegen 13:00 wird der Verhandlungstag beendet, gemeinsam gibt es noch eine Fahrraddemo von der Außenstelle des Landgerichts zum Landgerichtsgebäude in der Innenstadt mit einer Abschlusskundgebung.