Letter from Ella, 19th October

JVA Frankfurt III, 19th October 2021

I begin to write this on a night in which a friend has been moved from investigative detention to a convicted detention part of the prison. She was told to pack her things in the same moment she found out her application for revision has been rejected. She had received no court notification, but later found out that her previous lawyer had, 2 months ago, and didn’t tell her either.

This person is one of many, she was caught carrying cocaine from Latin America, taken advantage of by dealers, handed 6 years in jail, of which she will probably do half since she is a non-German citizen and then be banned from Germany for the next 10 years. Almost all the people I’ve met that are in a similar situation cannot wait to see the back of Germany and curse it, as most do everyday, as a nation that has ripped them apart from their loved ones and stolen years of their lives, all for a fucking narcotic, derived from what some locals would call a sacred plant, whose leaves are chewed and which helps them to climb the mountain with more speed and vitality.

The lines between recreational and medicinal are often blurred when it comes to drugs, but the reason for taking them are basically the same, to feel better. Whether rich or poor there appears to be a feeling of alienation, disconnection in society, a hole that people find themselves in, and in the moment drugs or addictive behaviour are partaken in, it is like wings are grown where this person can fly out of the hole and reconnect, cope better in the world. But without a lasting solution for their disconnect the effect wares off and they are back in the hole, and sometimes that hole gets deeper.

As long as drugs will be a solution to this alienation is as long as the demand for them will be, which will necessitate someone to transport those drugs. This is a classic example of a system that persecutes individuals without nearly sufficiently examining the cause of their actions. And of course it’s not just those involved in cocaine that are filling the prisons, costing taxpayers in Germany at least 180€ per day, per prisoner. There is a whole range of consciousness altering substances that provide relief and positive feeling which pig pharmaceutical companies do not have a license to produce. And so their dealers and consumers are named criminals and put behind the bars of many restrictions for as long as the judicary and prison industrial complex sees fit, whilst it sells the myth on the media that these people will learn a lesson, and society will thus be safer for it.

Forgive me if my figures are wrong, it is quite difficult to do research from this enclosure, but I’ve heard 70% of prisoners are inside not because of physical violence, but for reasons of private property. Let me give you another example from this week of just how fucked the system is. A prisoner, here since 2 years for reasons of private property, looks forward to seeing her kids, the first time since her arrest as her release date approaches in 2 weeks. In a moment of a complete freak out, she attacks with punches another prisoners she is rivalled with in the kitchen. She now risks another 3-6 months inside.

Some may think “well she deserves it”. But how is it that societies all over the world can think that it can punish, which is to violate, someone into a healthy caring state of mind? Hurt people hurt people. We cannot fight fire with fire and expect not to get more fire, that is coming in the form of higher crime rates and prison expansions. Be done with the illusion that prison “straightens people out” and “prevents wrongdoing”.

What more I am asking for in this post is that you find an alternative in compassion. This is not to stand on the edge of the hole and tell the person inside how nice life could be for them outside the hole, which tends to be a normal response to addicts, those disempowered and affected by ill mental health. It is rather to put a ladder into that hole, go down into it with them, perhaps even finding out what has gravitated them into those shadows, and with this “ladder” that could be a metaphor for positive focus, helping to make sure that it arrives at a safer space for them.

My point is not if we use the “ladder” or if we use “wings” to get to a safer space, my point is that we get there, that this “ladder” is provided for everyone to use, that we accept “wings” for the benefit they can provide, and that we are conscious of this “hole”. Blaming & shaming individuals is something that makes this hole deeper, reclaiming our autonomy in holistic justice could be the chisel that carves the steps out of it.

Freedom for all!

Ella

Ich beginne dies in einer Nacht zu schreiben, in der eine Freundin von der Untersuchungshaft in den Strafvollzug verlegt wurde. Sie wurde aufgefordert, ihre Sachen zu packen, als sie erfuhr, dass ihr Antrag auf Revision abgelehnt worden war. Sie hatte keine gerichtliche Benachrichtigung erhalten, fand aber später heraus, dass ihr*e vorherige*r Anwalt*in dies vor 2 Monaten getan und ihr auch nichts gesagt hatte.

Diese Person ist eine von vielen, sie wurde bei der Mitnahme von Kokain aus Lateinamerika erwischt, von Dealern ausgenutzt, zu 6 Jahren Gefängnis verurteilt, von denen sie wahrscheinlich die Hälfte absitzen wird, da sie keine deutsche Staatsbürgerin ist, und dann für die nächsten 10 Jahre aus Deutschland verbannt wird. Fast alle Menschen, die ich getroffen habe und die sich in einer ähnlichen Situation befinden, können es nicht erwarten, Deutschland von hinten zu sehen und verfluchen es, wie die meisten es jeden Tag tun, als eine Nation, die sie von ihren Lieben getrennt und ihnen Jahre ihres Lebens gestohlen hat, und das alles für ein verdammtes Rauschmittel, das von dem stammt, was einige Einheimische eine heilige Pflanze nennen würden, deren Blätter gekaut werden und die ihnen hilft, den Berg mit mehr Geschwindigkeit und Vitalität zu erklimmen.

Die Grenzen zwischen Freizeitgebrauch und Medikamenten sind oft fließend, wenn es um Drogen geht, aber der Grund für die Einnahme ist im Grunde derselbe: man will sich besser fühlen. Ob arm oder reich, es scheint ein Gefühl der Entfremdung zu geben, des Abgehängtseins in der Gesellschaft, ein Loch, in dem sich die Menschen befinden, und in dem Moment, in dem Drogen oder Suchtverhalten eingenommen werden, ist es, als würden der Person Flügel wachsen, mit denen sie aus dem Loch herausfliegen und wieder Anschluss finden kann, um in der Welt besser zurechtzukommen. Aber ohne eine dauerhafte Lösung für ihre Trennung lässt die Wirkung nach, und sie fallen wieder in das Loch, und manchmal wird dieses Loch noch tiefer.

Solange Drogen eine Lösung für diese Entfremdung sind, wird es auch eine Nachfrage nach ihnen geben, so dass es jemanden geben muss, der diese Drogen transportiert. Dies ist ein klassisches Beispiel für ein System, das Einzelne verfolgt, ohne die Ursache ihrer Handlungen auch nur annähernd ausreichend zu untersuchen. Und natürlich sind es nicht nur diejenigen, die mit Kokain zu tun haben, die die Gefängnisse füllen und die den Steuerzahler in Deutschland mindestens 180 € pro Tag und Gefangenen kosten. Es gibt eine ganze Reihe von bewusstseinsverändernden Substanzen, die Erleichterung und ein positives Gefühl vermitteln, für deren Herstellung die Pharmaunternehmen keine Lizenz haben. Und so werden ihre Dealer und Konsumenten als Kriminelle bezeichnet und so lange hinter Gitter gesteckt, wie es der Justiz- und Gefängnisindustriekomplex für richtig hält, während er in den Medien den Mythos verkauft, dass diese Menschen eine Lektion lernen und die Gesellschaft dadurch sicherer wird.

Verzeiht mir, wenn meine Zahlen falsch sind, es ist ziemlich schwierig, in diesem Bereich Nachforschungen anzustellen, aber ich habe gehört, dass 70 % der Gefangenen nicht wegen körperlicher Gewalt, sondern wegen Privateigentum inhaftiert sind. Ich möchte euch ein weiteres Beispiel aus dieser Woche geben, das zeigt, wie beschissen das System ist. Eine Gefangene, die seit zwei Jahren aus Gründen des Privateigentums inhaftiert ist, freut sich darauf, ihre Kinder zum ersten Mal seit ihrer Verhaftung zu sehen, da ihr Entlassungstermin in zwei Wochen näher rückt. In einem Moment des völligen Ausrastens greift sie einen anderen Gefangenen, mit dem sie in der Küche rivalisiert, mit Schlägen an. Sie riskiert nun weitere 3-6 Monate Haft.

Manch eine*r mag denken: “Na ja, sie hat es verdient”. Aber wie kommt es, dass Gesellschaften auf der ganzen Welt glauben, sie könnten jemanden bestrafen, d. h. vergewaltigen, um ihn in einen gesunden, fürsorglichen Geisteszustand zu versetzen? Verletzte Menschen verletzen Menschen. Wir können nicht Feuer mit Feuer bekämpfen und erwarten, dass wir nicht noch mehr Feuer bekommen, das in Form von höheren Kriminalitätsraten und Gefängnisausweitungen kommt. Wir müssen uns von der Illusion verabschieden, dass Gefängnisse “die Menschen zur Vernunft bringen” und “Fehlverhalten verhindern”.

Was ich in diesem Beitrag außerdem fordere, ist, dass sie eine Alternative in Form von Mitgefühl finden. Dabei geht es nicht darum, sich an den Rand des Lochs zu stellen und der Person darin zu sagen, wie schön das Leben außerhalb des Lochs für sie sein könnte, was in der Regel eine normale Reaktion auf Süchtige, Entmachtete und psychisch Kranke ist. Es geht vielmehr darum, eine Leiter in das Loch zu stellen, mit ihnen hinabzusteigen, vielleicht sogar herauszufinden, was sie in diesen Schatten gezogen hat, und mit dieser “Leiter”, die eine Metapher für eine positive Ausrichtung sein könnte, dazu beizutragen, dass sie an einem für sie sichereren Ort ankommt.

Mir geht es nicht darum, ob wir die “Leiter” oder die “Flügel” benutzen, um in einen sichereren Raum zu gelangen, mir geht es darum, dass wir dorthin gelangen, dass diese “Leiter” für jeden zur Verfügung steht, dass wir die “Flügel” für den Nutzen akzeptieren, den sie bieten können, und dass wir uns dieses “Lochs” bewusst sind. Die Rückgewinnung unserer Autonomie in ganzheitlicher Gerechtigkeit könnte der Meißel sein, der die Stufen aus diesem Loch herausmeißelt.

Freiheit für alle!

Ella