Klimaschutz ist (k)ein Verbrechen?

Wir sind zutiefst erschüttert über die Verurteilung von Ella/UP1. Richter Süß am AG Alsfeld entschied sich für ein Strafmaß von 2 Jahren und 3 Monaten, ein Ausmaß, das wir so noch nicht erlebt haben. Das Urteil ist zwar noch nicht rechtskräftig, aber die Botschaft ist angekommen. Dieser politisch motivierte Prozess dient zur Kriminalisierung der klimaaktivistischen Szene in Deutschland.

Die Dannenröder Waldbesetzung war eine politische Versammlung, die vom Grundrecht der Versammlungsfreiheit gedeckt war. Dieses Recht wurde zum Zwecke der Räumung außer Kraft gesetzt. Damit wird gegen das Grundrecht verstoßen und eine ganze Bewegung für eine politisch legitimierte Protestform bestraft.

Ella/UP1 sitzt bereits seit mehr als 6 Monaten in Haft und mit diesem Urteil sollen noch weitere 27 Monate folgen. Wir werden dieses Urteil nicht akzeptieren und uns an die Öffentlichkeit wenden. Während Polizist*innen im Dannenröder Forst Gewalt ausübten, knüppelten, Seile und Sicherungen durchschnitten und lebensgefährliche Taser einsetzten, wird ein Mensch für einen Fußtritt, dessen Zielrichtung ungeklärt ist und der nur zur eigenen Verteidigung gegen brutale und in einer Höhe von 15 Metern klettertechnisch stümperhafte vermummte SEK-Beamte völlig unverhältnismäßig bestraft.

Die befragten Zeug*Innen vom Sondereinsatzkommando trugen scheinbar einstudierte Geschichten vor. Sie stünden in Todesangst, hätten psychische Folgeschäden erlitten und konnten nur aufgrund des hohen Adrenalins weiterarbeiten. Erst am Folgetag seien Verletzungen spürbar gewesen und so gravierend, dass Folgeschäden eingetroffen seien. Von der Verteidigung beantragte Beweisanträge wurden abgewiesen und damit einhergehendes entlastendes Material ignoriert. Das Gericht zeigte keinerlei Interesse an einer Aufarbeitung des Geschehens. Hier kann von keinem fairen Verfahren die Rede sein.

Welchen Zweck verfolgt so eine Strafe eigentlich?

In einem oft zitierten Leitentscheid des Bundesverfassungsgerichts bezeichnet dieses als „Aspekte für eine angemessene Strafsanktion“ folgende: Schuldausgleich, Prävention, Resozialisierung des Täters, Sühne und Vergeltung für begangenes Unrecht

  • Resozialisierung: Am 26.11. im Dannenröder Forst wurde Ella von der „Gesellschaft“ getrennt, in die sie nun durch die Strafe wieder „eingegliedert“ werden soll. Aus einem stabilen, fürsorglichen und vertrauten Umfeld entrissen in die Einsamkeit und Kälte vier glatter Wände mit vergitterten Fenstern gesteckt. Zweieinhalb Jahre Knast, einem kalten und extrem gewaltvollen Umfeld, entfernen einen Menschen jedoch nur mehr von dem, was eine gute, funktionierende Gesellschaft sein kann. Im Knast lernt Mensch demütige Gefügigkeit und Gewalt, andere Verhaltensweisen sind dort meist dysfunktional. Resozialisierung durch Haft ist eine scheinheilige Lüge!
  • Sühne: Die Sühne setzt Freiwilligkeit voraus. Wie eine Knaststrafe, eine Inhaftierung eines Menschen gegen seinen Willen eine solche Freiwilligkeit hervorrufen kann ist höchst fraglich.
  • Vergeltung: Auge um Auge, Zahn um Zahn? – Aber wehe uns, wenn wir Claudia Blums Häuser einreißen, Peter Beuths Fußsoldat*innen verprügeln, Richter Süß in seinem Zuhause überfallen, entführen und zweieinhalb Jahre lang in einer ekelhaften Nasszelle gefangen halten und Tarek Al-Wazirs Trinkwasser vergiften
  • Prävention: Auch wenn sie uns das immer wieder einreden wollen – Die Haft wird Ella vermutlich nicht zu eine*r gefügigen Bürger*in machen, welches immer „Ja-Herr-Lehrer“ sagt, immer brav zur Arbeit geht und seine Gartenzwerge nach Farbe sortiert. Ella ist ein*e Überzeugungstäter*in – „wenn wir unser Klima zerstören, dann geht das auch Sie was an, Herr Richter“, schrie Ella der Maschine in Robe bei dessen Urteilsverkündung entgegen.
    Bei der Person, die hier vorgeblich bestraft werden soll, bleibt die Strafe im Sinne des vorgegebenen Strafzwecks wirkungslos. Die Wirkung einer solchen Strafe entfaltet sich vor Allem in denen, die eine solche Strafe beobachten. Die sollen nämlich dann aus Angst, auch hinter Gittern zu landen, immer „Ja-Herr-Lehrer“ sagen, immer brav zur Arbeit gehen und, wenns gut läuft, ihre Gartenzwerge nach Farbe sortieren. Da solche Fußtritte, wären sie denn tatsächlich geschehen, in der Regel im Affekt, „in der Hitze des Gefechts“ und keinesfalls vorsätzlich geplant und durchdacht werden, ist so eine hohe Strafandrohung in ihrer generalpräventiven Funktion nicht dazu geeignet, künftig speziell gleich gelagerte Taten zu verhindern, sondern Proteste und Bewegungen als Gesamtes zu beruhigen und zu zähmen.

Eine Demonstration ist dann keine Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes, wenn sie irgendwem im Weg steht, so Richter Süß gestern in der Urteilsbegründung. Eine Waldbesetzung kann niemals eine Versammlung sein. Protest ist nur dann legitim, wenn er bequem ist und nicht stört. Und genau da wollen sie uns haben – das ist der Zweck des gestern gegen Ella verhängten Urteils.

Das Urteil richtet sich gegen alle Menschen, die sich für den Erhalt von Umwelt und Natur einsetzen. Klimaschutz ist nach dem gestrigen Urteil ein Verbrechen und wird hart bestraft.

Wir zeigen uns weiterhin solidarisch mit Ella und werden diesen Fall nicht ruhen lassen. Wenn ihr euch einbringen möchtet, Kontakte zur Presse habt, Demonstrationen organisieren wollt, solidarische Aktionen und/oder Briefe schreiben wollt, kontaktiert uns gerne oder seid kreativ und eigeninitiativ.

 

Statement der Laienverteidigung:
“Ich sitze im Gerichtssaal, gerade wird das Urteil verkündet: 2 Jahre und 3 Monate. Das Gericht nimmt alle Lügen der Cops als wahr an. Dass in den Videos definitiv das Gegenteil beweisbar war und wir auch entsprechende Beweisanträge gestellt haben, wird gar nicht erwähnt. Der Richter ist richtig aufgeregt. Bei Protesten aus dem Publikum lässt er sich zu polemischen Kommentierungen hinreißen – deutlich sichtbar, dass hier ein politisches Verfahren läuft (der Richter ist in der SPD). Bereitschaftspolizei ist vor der Verkündigung aufgezogen – ich wurde zunächst gewaltsam am Reingehen gehindert.
Mehrere Zuschauis sind bereits aus dem Saal geschleift worden.

Um sich wiederholende Nachfragen zu vermeiden, möchte ich (…) ergänzen:

* Die von der Verteidigung vor allem widerlegten Lügen der Polizei,
sie seien nicht gesichert gewesen, kam im mündlichen Urteil gar
nicht mehr vor.
* Ebenso kam die Lüge des SEKlers K214, die Schuhe hätten eine feste
Sohle gehabt, nicht mehr vor.
* Das Gericht hat auch nicht mehr behauptet, dass es mehrere Tritte gegeben hätte (auch das hatten die Cops gelogen).
* Das Gericht hat aber gesagt, es hätte einen Tritt gegeben (sie
meinten den einen, der zweifelsfrei da war, aber nicht traf und auch
unklar ist, ob er treffen oder nur einen Abstand herstellen sollte).
Und jeder Tritt mit jeder Art Schuh in Richtung Kopf sei in jeder
Lage eine gefährliche Körperverletzung (lebensbedrohlich).
* Außerdem hat das Gericht mal ein bisschen
Versammlungsrechtsgeschichte schreiben wollen und festgelegt, dass Aktionen, bei denen Menschen nicht nur neben dem Geschehen
herumstehen und über das Schlimme jammern, keine Versammlung mehr
sei. Tenor also: Sitzblockaden, Waldbesetzungen … alles keine
Versammlung. Deshalb sei der Angriff der Polizei auf die
Danni-Besetzungen auch ohne Versammlungsauflösung rechtmäßig, weil es ja gar keine Versammlung sei. Gestern hatte das VG Magdeburg bezüglich der A14-Besetzung genau das Gegenteil festgestellt. Das
Amtsgericht Alsfeld, in Sachen Versammlungsrecht nicht geschult,
wusste es nun besser …

Nachfragen, wie es jetzt weitergeht, sind im Moment überflüssig. Selbstverständlich machen wir weiter. Wie genau, können wir jetzt aber noch nicht sagen, weil nicht die mündliche Urteilsbegründung zählt, sondern die schriftliche. Die gibt es aber noch nicht.
Wir zwei abgelehnten Laienverteidiger*innen werden auch weiter versuchen, in das Verfahren hineinzukommen, damit wir auch ausgedehnteres Besuchsrecht bei Ella/UP1 haben.
Und als letztes: Es war bemerkenswert, wie der sonst meist bewegungslos, fast geistesabwesend wirkende Richter sich bei der Urteilsbegründung in Rage redete, keine vollständigen Sätze mit hinbekam, das Publikum und Ella beschimpfte und bedrohte, ständig seine Zettel mit Notizen durcheinander brachte … ich finde: Da war richtig Hass zu erkennen.

Auch die sofortigen Polizeieingriffe im Saal zeigten nun, wie hier gedacht wird. Viele weinten. Ella auch. Es waren ähnliche Ausdrücke totaler Sprachlosigkeit, wie sie auch allen anderen auf ihre Weise ins Gesicht geschrieben standen. (…)”

Anonymes Statement (gefunden auf gerichtesindzumessenda.noblogs.org):
“Bitte nehmt das Urteil ernst und recherchiert zu den Hintergründen! Auch auf mich wirkt der Prozessverlauf hochproblematisch und bin mir aufgrund zahlreicher persönlicher Erfahungen mit Polizei-Lügen fast sicher, dass das Urteil völlig ungerechtfertigt ist, auch wenn ich bisher (wie viele andere) das Geschehen nur am Rande verfolgt habe! Zwei Jahre Knast dafür, dass letztlich nichts passiert ist (und möglicherweise auch der ganze Vorwurf an den Haaren herbeigezogen ist)… das sollte die Klimabewegung nicht hinnehmen. Das sollte keine demokratische Bewegung hinnehmen! Mensch stelle sich nur vor, wie sich Ella nach so einem Urteil fühlen muss, wenn tatsächlich alle Vorwürfe haltlos sind…
Hoffentlich nimmt die nächste Instanz das Urteil zurück – obwohl, bis dahin wird Ella eingesperrt sein und das kann dauern… jedenfalls kann öffentlicher Druck erfahrungsgemäß viel bewirken!”